Losung und Lehrtext 
für Freitag, 08. Dezember 2017

Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus.
Psalm 51,14

Die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben!
Lukas 17,5




Christusdorn

Erst weit nach Mitternacht legte sich langsam die Aufregung und der Jubel um die Geburt Jesu.
Maria sagte leise zu Josef: „Ich bin müde, wir sollten endlich ein wenig schlafen, und das Kind braucht seine Ruhe!“
Josef bedeutete den Leuten aus Bethlehem, daß sie nun in Frieden zu ihren Häusern und Hütten zurückkehren sollten. Auch die Hirten wanderten, beglückt von dem Erlebten, heim zu ihren Herden, rollten sich in ihre dürftigen Tücher zum Schlafen ein und rückten nah an die warm atmenden Tierleiber. Ochs und Esel knickten die Läufe und legten sich ins Stroh. Ein kleines Lämmchen nur mähte noch verloren, weil sein Hirte es der Mutter genommen hatte, um Jesus ein Geschenk zu bringen. Maria strich ihm sanft über das krause Köpfchen, da schlief es getröstet ein.
Die Engel ließen ihr Lobpreisen, zogen sich auf wattegleiche, silberne Wölkchen zurück und Stille Nacht kehrte ein.
Nur das Jesuskind wachte noch. Ruhig lag es in seiner Krippe. Seine großen Augen schauten in das Dämmern des dunklen Stalles, vielleicht schauten sie schon in die Zukunft? Es wartete.
In dieser stillen heiligen Stunde, in der Stunde zwischen Nacht und Morgen, zwischen Dunkel und Licht, wenn der Atem Gottes die Erde berührt, machten sich die Blumen und Pflanzen auf, Gottes Sohn zu begrüßen und ihm zu huldigen.
Sie hoben vorsichtig ihre Wurzelfüße aus dem Grund und zogen über die Hügel heran, von Feldern und Weiden und Wegrändern, aus Gärten und Parks, von sumpfigen Seeufern und aus trockenem Wüstensand. Ein sanftes Rauschen begann, wie von Engelsflügeln, aber es waren die Blätter und Zweige der wandernden Natur. Seit Jahrtausenden waren die Büsche und Bäume, die Blumen und Gräser an ihren Platz gebannt gewesen und Jahrtausende weiter würden sie es sein, doch in dieser einen Nacht durften sie ihn verlassen. So traten sie heran, zur Krippe, neigten ihre Blütenhäupter, ihre schweren Wipfel, ihre zarten Blumenkelche vor der Mensch gewordenen Liebe Gottes.
Und sie, die seit Jahrtausenden nicht hatten sehen können, die Jahrtausende weiter nicht würden sehen können, in dieser einen Nacht wurden sie sehend. Sie erschauten das Kind, erkannten die wunderbare Schöpfung Gottes, deren Teil sie waren und kehrten gestärkt und lebensmutig an ihren Platz zurück.
Zwischen all den herrlichen Blumen und Büschen aber gab es ein armseliges Dornengebilde, grau und stachlig, daß niemand ihm zu nah treten wollte. Selbst Ziegen und Esel verschmähten diesen Strauch als Mahlzeit. Als nun die Reihe an ihn kam, sich vor dem Jesuskind zu neigen, tat er es ungeschickt und scheu, sich seiner ganzen Häßlichkeit und Stacheligkeit bewußt. Das Jesuskind hob die kleinen runden Händchen und griff nach ihm, griff mitten in die Dornen, so daß der Strauch erschrocken zurückzuckte. Rot glänzten an seinen Stacheln Blutstropfen. Ein entsetztes Raunen ging durch die pilgernde Pflanzenwelt.
Doch in dieser Nacht der Liebe gab es keinen Schmerz und kein Leid, und so lachte das Jesuskind, trotz seiner zerstochenen Händchen, und die Blutstropfen an den kahlen grauen Zweigen des Dornbuschs wurden zu kleinen roten Blüten.
„Ich danke dir, ich danke dir“, knisterte der Busch erschüttert in seinem rotblühenden Schmuck, „wie werde ich dich, Herr, je genügend verehren können?“
„Du wirst die Krone meines Lebens werden“, flüsterte das Jesuskind.
Als Maria am Morgen erwachte, waren der Boden des Stalles und die Wege draußen vor der Tür mit Blütenblättern übersät. Sie nahm das Kind aus der Krippe und zeigt ihm die Pracht. Ihr Herz war leicht und froh.
„Schau, mein Jesus“, lachte sie, „schau, wie die Welt dich liebt! Du wirst einer der glücklichsten Menschen auf Erden sein!“
Aber die Heilige Nacht war vorbei.

Elke H. Hirche

Kommentare